Requisiten einer Zeit
Wie sehr kann man in eine Zeit eintauchen, die man selbst nicht erlebt hat? Vielleicht sogar besser als diejenigen, die in ihr aufwachsen mussten – die Realität ist meist weniger poetisch, muss bewältigt, nicht katalogisiert werden. Chronisten sind einfühlsame Menschen, die dem Vergangenen eine Stimme geben. Anke Bär, die wir schon von vielen preisgekrönten Biopics kennen, hat mit Kirschendiebe ihr erstes erzählendes Sachbuch herausgebracht.
Bisher hatte sie sich immer zeichnerisch den historischen Begebenheiten genähert, sparsam betextet eine Epoche nacherzählt. Nun wagt sie sich an eine Zeit, die über zwei Generationen zurückliegt: nach dem Zweiten Weltkrieg in einem verletzten, besetzten und von Schuld gezeichneten Deutschland. Bär verortet ihre Familiengeschichte in einem Forsthaus – Heimatlose, Besatzer und Eingesessene treffen dort aufeinander, und Anke Bär gelingt so ein Sittenbild der Zeit, das in der Nacherzählung fast idyllische Momente bekommt. Nein, nicht die „gute alte Zeit“. Der Blick auf die Details im Spannungsfeld der politischen Situation ergeben eine Melange, die uns über 70 Jahre später aufzeigt, was sich wie sehr verändert hat. Zwischen den späten 1940er Jahren und heute liegen nicht nur digitale Welten.
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Anke Bär gelingen ganz besonders liebevolle Schilderungen von stummen Zeitzeugen: Spielsachen, Möbel, Kleider (...). Dieses Erinnern hilft, um unsere Vorfahren und uns heute zu begreifen.
Christine Paxmann
(mehr dazu im Eselsohr 03/2018, S. 37)